Zahnfleischentzündung: Verletzung der Biologische Breite, Extrusion, Chirurgische Kronenverlängerung
Eine bei Patienten leider relativ häufig zu beobachtende Problematik stellt eine Zahnfleischentzündung bzw. paradontale Entzündung durch die Verletzung der biologischen Breite dar. Was bedeutet das?
Vergleichbar wie beim Nagelbett ist auch am Zahn eine harte Substanz mit weichem Gewebe (Zahnfleisch) fest miteinander verwachsen. Diese Verbindung zwischen Zahn und Zahnfleisch erfolgt über bindegewebige Fasern. Ebenso, wie es möglich ist, einen Fremdkörper zu einem bestimmten Grad unter einen Fingernagel zu schieben, ohne dabei die Fasern zu verletzen, kann auch ein Fremdkörper, wie z.B. ein Kronenrand oder eine Füllung bis zu einem bestimmten Punkt neben einen Zahn in die lose Zahnfleischfurche (Sulkus) gelegt werden, so dass dies auch dauerhaft vom Gewebe ohne negative Reaktionen vertragen wird. Auf der Abbildung 1 entspricht das dem Bereich zwischen der orangen (Zahnfleischverlauf) und rosa (Bindegewebe) Linie. Auch der natürliche Zahnschmelz, an dem keine Fasern anhaften können erstreckt sich in der Regel unter das Zahnfleisch. Der rosa Bereich entspricht dem sog. bindegewebigem Attachment. Dies sind die Bindegewebsfasern, die fest mit der Wurzeloberfläche des Zahnes verwachsen sind. Diese Fasern bilden eine sehr wichtige Barriere zwischen der Mundhöhle und dem Kieferknochen. Im Falle von parodontalen Entzündungen, sind es diese Fasern, die entzündlich geschwächt und abgebaut werden, und so einen Verlust von Knochen mit der Ausbildung von Knochentaschen ermöglichen. Die Folge sind tiefe Zahnfleischtaschen bis hin zum möglichen Zahnverlust.
Abb. 1: Die biologische Breite: rosa.
Diese Fasern des Zahnfleisches der rosa Zone (biologische Breite genannt) dürfen auch nicht mechanisch durch einen Fremdkörper verletzt werden. Die Fasern können sich nur an einer gesunden Wurzeloberfläche eines natürlichen Zahnes anheften, nicht an Materialien wie Keramik, Metall, Zement oder Kunststoff. Wird diese sensible Zone verletzt, so passiert ähnliches, wie bei einem Schiefer, der tief unter einem Fingernagel steckt: nämlich eine dauerhafte Entzündung mit Abstoßungsreaktion. Bei der Zahnfleischentzündung rötet sich das Zahnfleisch stark oder wird dunkel, blutet sehr leicht und ist schmerzhaft.
Wie kann so eine Verletzung des Zahnfleisches bzw. der biologischen Breite überhaupt passieren? Zum einen leider auch durch Unachtsamkeit des Zahnarztes, der beim Präparieren eines Zahnes den notwendigen Abstand zu den Fasern nicht respektiert und sie mit seinem Schleifinstrument oder Bohrer verletzt. Das ist immer wieder bei Frontzähnen zu beobachten, die einen stark geschwungenen sattelförmigen Verlauf des Knochenrandes und entsprechend auch der Zahnfleischfasern aufweisen. Wenn hier bei einer Kronenpräparation unbedacht auf einem Niveau horizontal um den Zahn herumgeschliffen wird, dann wird in den Zwischenräumen seitlich der Zähne die biologische Breite unweigerlich verletzt. Wesentlich häufiger liegt jedoch der Grund für einen zu nah am Knochen gelegenen Defekt entweder an einer kariösen Zerstörung des Zahnes oder an einer Zahnfraktur. Insbesondere Wurzelkaries unterhalb einer bereits vorbestehenden Zahnkrone breitet sich immer tiefer unter das Zahnfleisch aus und kann den Zahn sogar bis unter das Knochenniveau zerstören.
Zahnfrakturen passieren neben Unfällen gehäuft bei wurzelbehandelten Backenzähnen, die nicht mit einer Krone versorgt worden waren. Eine Füllung kann so einen Zahn nicht auf Dauer stabilisieren und immer wieder passiert es in solchen Fällen, dass eine Zahnwand abbricht. Jeder wurzelbehandelte Seitenzahn sollte daher überkront werden. Das potenzielle Risiko ist der Zahnverlust. Eine solche Fraktur erstreckt sich meist genau bis zur Knochenkante, da dort die Restwurzel wieder gestützt ist. Eine Krone kann in so einem Fall nicht ebenfalls bis zum Knochen eingebracht werden, denn dann ist kein Platz mehr für die Fasern da. Außerdem benötigt eine Krone idealerweise auch einen gewissen Anteil gesunder Zahnsubstanz zur Fassung (sog. Ferrule oder Fassreifeneffekt), da sie sonst nicht stabil verankert werden kann.
Welche Möglichkeiten hat nun der Zahnarzt, wenn die (in der Regel wurzelbehandelten) Wurzeln fest, schmerzfrei und somit erhaltungswürdig sind? Eigene Zähne sollten so lange wie möglich und wenn möglich erhalten werden. Im wesentlichen existieren zwei Optionen:
- Den Zahn ein bis wenige Millimeter aus seinem Zahnfach herausbewegen, damit unversehrte Wurzelanateile zum Vorschein kommen, an denen sich das faserige Attachment regenerieren kann. Dies wird Extrusion genannt und erfolgt mit Hilfe von Zahnspangen, Gummizügen oder von Magneten, die in Provisorien eingebaut werden. Solche Behandlungen dauern manchmal mehrere Monate, da sie nur langsam von statten gehen und in dieser Zeit sind ästhetische Einschränkungen durch die notwendigen mechanischen Apparaturen (wie z.B. Schienen mit Knöpfen und Gummizügen) nicht zu vermeiden. Auch sind regemäßige Kontrollen und Anpassungen erforderlich.
- Alternativ kann auch der Zahn operativ freigelegt werden, indem chirurgisch um den Zahn herum etwas Knochen entfernt wird. Meistens kann das sehr begrenzt und schonend erfolgen, da es sich nur um ca. 2 mm Abtrag handelt. Im Gegensatz zur kieferorthopädischen Methode kann so ein gesunder Zustand in einer Sitzung schnell mit nachfolgend wenigen Wochen Abheilzeit hergestellt werden. Bei einer chirurgischen Kronenverlängerung wird allerdings der Zahn zwangsläufig optisch länger, weshalb dies häufiger im ästhetisch nicht sichtbaren Seitenzahnbereich zum Einsatz kommt, während im Frontzahnbereich die Extrusion oft sinnvoller ist. Denn bei der Extrusion verändert sich der Zahnfleischverlauf nicht oder kann sogar etwas mitbewegt und optimiert werden. Der chirurgische Eingriff ist eher unkompliziert und nicht so schlimm, wie es sich zunächst anhört. Auf jeden Fall weniger massiv wie eine Extraktion oder Implantation, die andernfalls notwendig wäre.
In einigen Fällen ist es sogar von Vorteil, beide Methoden miteinander zu kombinieren und zusammen anzuwenden. Egal, auf welche Art man versucht, so ein Problem zu lösen, hier bewahrheitet es sich wieder einmal, dass jede Zahnbehandlung umso schwieriger und aufwändiger wird, je stärker die Zähne vorgeschädigt sind. Qualitativer Zahnersatz, gute häusliche Mundhygiene, regelmäßige Besuche bei der Prophylaxe mit Röntgenkontrollen und jährliche Kontrollen durch den Zahnarzt können solche Problem weitestgehend verhindern. Vorbeugen ist besser als Heilen.
Dr. Jan Hajtó