Bulimie – Durch Säuren zerstörte Zähne
Schon als kleines Kind lernt man, dass Karies dadurch verursacht wird, dass Bakterien aus Zuckern Säuren produzieren, die dann die Zähne angreifen. Weniger bekannt ist vielen, dass es auch Säuren gibt, die die Zähne direkt angreifen können, oder es wird erst bemerkt, wenn es schon viel zu spät ist.
Einige Hauptbeltäter sind in diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben:
- Säurehaltige gezuckerte Soft Drinks und Energy Drinks. Diese greifen die Zähne durch Zucker und Säuren doppelt an. Die Säuren sind z.B. Kohlensäure, Zitronensäure oder Phosphorsäure. Die in Cola enthaltene Phosphoräure wird auch in der Zahnmedizin in höherer Konzentration in der Säure-Ätztechnik dazu verwendet, die Schmelzoberfläche für eine Verklebung anzurauen. Bei regelmäßigem und übermäßigem Konsum solcher Getränke ist es möglich, große Teile der Zähne weg zu ätzen.
- Magensäure bei gastroösophagealen Refluxerkrankungen. Bei einem chronischen Reflux wird die aus dem Magen aufsteigende Magensäure in der Regel nicht ausgespuckt, und daher sind auch hintere und untere Zähne befallen.
- Magensäure bei Bulimie (Bulimia Nervosa). Bei dieser Essstörung, einer Ess-/Brechsucht, sind durch das regelmäßige Erbrechen charakteristische spiegelglatte Flächen vor Allem an der Innenseite der oberen Frontzähne festzustellen (s. Abb.). Bei diesem Befund kann der Zahnarzt dem Patienten auf den Kopf zu sagen, dass dieses Problem bestanden hat oder noch besteht. In der Altersgruppe von 15 – 35 Jahren kommt eine solche Erkrankung in einer Häufigkeit von 0,5 – 3%, also nicht so selten, vor. Sie wird allerdings von den Patienten oft geleugnet oder zumindest nicht offen angesprochen. Frauen sind ca. zehnmal häufiger betroffen als Männer.
Das größte Problem aus zahnärztlicher Sicht besteht darin, dass diese Defekte im Laufe der Zeit so massiv werden können, dass die Möglichkeit des Zahnerhaltes ab einem bestimmten Punkt stark gefährdet ist. Die Defekte erstrecken sich bei chronischen Fällen häufig bis zum ehemaligen Pulpenkavum (Zahnnerv). Der Nerv hat zwar die Kapazität, sich bei chronischen Reizen langsam zurückzuziehen und von innen eine Schutzschicht (Tertiärdentin) zu bilden, aber solche Zähne können nicht noch weiter (z.B. für Zahnkronen) beschliffen werden und häufig sind die Wurzeln auch nicht mehr zu retten.
Weitere Probleme für den Zahnarzt entstehen dadurch, dass sich die Bisslage absenkt, weil alle Zähne kleiner werden und auch, dass trotz des massiven Substanzverlustes dennoch kein Platz vorhanden ist, um die Zähne wieder aufzubauen, da die unteren Zähne nachrücken und auf Kontakt stehen. In solchen Fällen werden meist komplexe Behandlungen des ganzen Ober- und Unterkiefers mit sogenannter Bisshebung und Neueinstellung der Bisslage über Zwischenschritte und Aufbauten aus Kunststoff erforderlich.
Dank der erwähnten Adhäsivtechnik stehen uns heute die technischen Möglichkeiten zur Verfügung, auch schwierige fortgeschrittene Fälle mit geringstmöglichem weiteren Substanzverlust zu versorgen. In der Regel in einer Kombination aus Komposit und Keramik. Jedoch erfordert der Umfang solcher Rekonstruktionen einiges an Know-how und Erfahrung, da es sich nicht nur um Füllungen handelt, sondern um eine funktionelle und ästhetische Wiederherstellung des gesamten Kausystems.
Wer unter einer solchen Essstörung leidet, sollte keinesfalls zögern, seinen Zahnarzt zu diesem Thema anzusprechen, damit die Zähne geschützt werden können – bevor es zu spät ist!
Dr. Jan Hajtó