Aufbissschiene – Aber richtig!

Die meisten unserer Patienten berichten, dass Sie schon einmal eine Schiene gehabt hätten, diese aber nicht mehr tragen würden, weil die Schiene entweder nicht richtig gepasst oder sogar gestört hätte. Manche bringen sogar eine ganze Sammlung von alten Schienen mit. Meist wurde die Schiene vom Zahnarzt empfohlen, weil dieser Schlifffacetten und Abrasionen auf den Zähnen festgestellt hat. In der Regel berichten die Patienten, dass die Schienen angefertigt und eingesetzt, jedoch nur in seltenen Fällen nochmal nachkontrolliert oder gar nachjustiert wurden. In solchen Fällen ist es dann auch nicht verwunderlich, dass die Schienen nicht funktionieren und unangenehm zu tragen sind, da die sehr genaue und sorgfältige Feineinstellung durch Einschleifen oder Antragen von Kunststoff den wesentlichen Kern einer jeden Schienenbehandlung darstellt.

Wofür eine Aufbissschiene bzw. Beißschiene?

Es gibt verschiedene Gründe, weshalb das Tragen einer Aufbissschiene medizinisch sinnvoll sein kann. Aufbissschienen, im Sprachgebrauch auch Beißschiene oder Knirscherschine genannt, ermöglichen z.B. eine Schutzfunktion der Zähne bei Fehlbelastungen oder bei  Knirschen / Pressen (Bruxismus), eine Entspannung bei verspannten und schmerzhaften Kaumuskeln oder auch eine günstige Beeinflussung der Kiefergelenke, wenn diese Probleme aufweisen.

Eine der häufigsten Anwendungen liegt allerdings in der Neueinstellung der Unterkieferlage bei Zahnersatzmaßnahmen. Da die Kiefergelenke und die Kaumuskulatur die einzigen Gelenke bzw. Muskelgruppen im Körper sind, die mit einem extrem harten und starren Widerpart (Gebiss) harmonisch funktionieren müssen, können sich Fehlstellungen der Zähne häufig negativ auf diese Strukturen auswirken. Das Kausystem muss dabei nicht als ein mechanisches, sondern als ein neurologisch sehr fein abgestimmtes kybernetisches System begriffen werden. Eine Vielzahl von Sensoren, zu denen unter anderem auch die Zähne und die Fasern des Zahnhalteapparates zählen, sind nerval auf komplexe Weise derart verschaltet, dass bei normaler Funktion keine Überlastung der einzelnen Komponenten auftritt. Dieses Gleichgewicht kann aber aus verschiedenen Gründen gestört sein. Im Falle der Zähne können dies frühere kieferorthopädische Korrekturen (sehr häufig!), abgenutzte Zahnsubstanz, Zahnverlust mit nachfolgender Zahnwanderung oder Zahnkippung, ungenau eingepasster oder lockerer Zahnersatz (leider auch häufig) und noch Vieles mehr sein. Das kann dann unmittelbar und mittelbar negative Auswirkungen auf die Muskeln und Kiefergelenke haben. Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt, da die Zusammenhänge zwischen dem Mund-Kaubereich (stomatognathes System) und dem gesamten Körper sehr vielfältig und komplex sind. Es können z.B. auch allgemeine orthopädische Probleme, wie Hüftfehlstellungen, Beinlängenunterschiede, Probleme der Wirbelsäule aber auch psychische Probleme, Störungen der Sehorgane u.v.a.m. im Zusammenhang mit solchen zahnärztlichen Problemen stehen.

Auch die Symptomatik ist sehr variabel und vielfältig. Aus diesem Grund werden die diversen Symptome auch unter dem sehr allgemeinen Begriff CMD (Craniomandibuläre Dysfunktion) zusammengefasst, daher bezeichnet man die Zahnschienen auch oft als CMD Schiene. CMD kann eine lange Liste an Beschwerden und Befunden umfassen.

Wie sieht eine brauchbare Aufbissschiene aus?

Für eine wirksame Therapie ist die korrekte Gestaltung der Schienen entscheidend. Funktionsschienen werden immer nur in einem Kiefer hergestellt. Je nach individuellen Gegebenheiten kann dabei eine Oberkieferschiene oder eine Unterkieferschiene besser sein. Die Schienen müssen aus ausrechend hartem Material sein, um einen eindeutigen, nicht federnden Kontakt zu der Gegenzahnreihe ermöglichen. Wir stellen alle unsere Funktionsschienen im CAD/CAM Verfahren aus transparenten Kunststoffblöcken aus Plexiglas her.

Im Seitenzahnbereich müssen die Aufbissflächen komplett plan sein, um eine präzise gleichmäßige Bisseinstellung durch Einschleifmaßnahmen aber auch ein Einpendeln des Kiefers zu ermöglichen (s. Abbildung). Eines der Hauptziele beim Einschleifen (oder Aufbauen) einer Schiene besteht darin, auf diesen Seitenflächen für jeden Zahn einen eindeutigen Kontakt zu erzielen, so dass die Bisslage über einen gleichzeitigen und gleichmäßig starken Kontakt aller vorhandenen Seitenzähne abgestützt und eindeutig definiert ist.

Im Frontzahnbereich zwischen den beiden Eckzähnen sorgt eine gekrümmte Fläche (Frontzahnschild) dafür, dass bei den Bewegungen des Unterkiefers (Exzentrik) eine Führung ausschließlich über die Eckzähne (Seitenbewegung, Laterotrusion) bzw. Schneidezähne (Vorschub, Protrusion) erfolgt. Die Seitenzähne sollen dabei nicht aufeinander reiben, was ebenfalls durch die planen Seitenflächen gewährleistet wird. Daraus folgt, dass Schienen, die auf der Oberfläche ein Kaurelief besitzen, nur sehr unzuverlässig und schwer die korrekte Funktion einer Schiene erfüllen können. Meist sind dies einfache, im Vakuum-Tiefziehverfahren hergestellte Schienen aus mehr oder minder harten Folien. Dieses Material ist zudem sehr schwer genau einzuschleifen und die Mehrzahl solcher Schienen erfüllt leider nicht Ihren Zweck.

Die von uns verwendete Schiene ist auch als Michiganschiene bekannt. Sie existiert seit 1960 und ist die in der zahnärztlichen Literatur am besten untersuchte Schiene. Dabei wurde wiederholt Ihre Wirksamkeit belegt. Sie kann zudem je nach spezieller Indikation etwas abgewandelt und angepasst werden.

Wie funktioniert eine Aufbissschiene?

Das Funktionsprinzip einer Schiene unterstützt die Selbstheilungskräfte des Körpers und zwingt nicht den Kiefer in eine bestimmte Lage. Mehrere Faktoren begünstigen dies. Unter Anderem:

  1. Durch die geringe Sperrung des Kiefers und die dadurch bedingte erhöhte Bisslage verändert sich sofort der Tonus und die eingefahrenen Funktionsmuster der Kau- und Gesichtsmuskulatur.
  2. Durch die gleichmäßige Verteilung der Kräfte, die ansonsten in voller Stärke auch auf einzelne Zähne wirken können, werden die Zähne vor Überlastung geschützt und die sensorischen Reize auf die Zähne werden verändert.
  3. Durch das „Ausschalten“ der Zahnreihen werden jegliche bis dahin vorhanden negativen Reize oder Belastungsvektoren auf die Kiefergelenke oder Muskeln durch Störungen der Okklusion ausgeschaltet.
  4. Die gleichmäßige Einstellung des seitlichen Aufbisses in Schlussbisslage (Zentrik) ermöglicht es den Kiefergelenken und der Kaumuskulatur in die neutralste und physiologisch optimale Position und Zustand zurückzufinden.
  5. Die Frontzahn-Eckzahnführung eliminiert dynamische Störkontakte im Seitenzahnbereich und sorgt im Sinne einer Entspannungsschiene für eine geringe muskuläre Aktivität.
  6. Last not least haben Schienen auch eine sehr wertvolle diagnostische Funktion. Über Schliffspuren und den Veränderungen der Kontakte auf der Schiene lassen sich wichtige Rückschlüsse, über die Charakteristik der vorliegenden Problematik ziehen, die in einer einzigen Untersuchung (klinische Funktionsanalyse) nicht vollständig erfasst werden kann.

Wie lange dauert eine Schienenbehandlung?

Wenn eine Fehlregulierung, Überlastung oder Fehlfunktion eingetreten ist, dann ist dem in der Regel eine langjährige Entstehungsgeschichte vorausgegangen. Aus diesem Grund ist auch in den allermeisten Fällen nicht möglich, über eine Schiene, die einmal angefertigt, eingesetzt und vielleicht bei diesem Einsetztermin einmal eingeschliffen wird, eine nachhaltige Beeinflussung der Beschwerden zu erreichen. Eine sinnvolle Schienenbehandlung kann nur erfolgreich sein, wenn die Schiene in immer größer werdenden Abständen mehrfach kontrolliert und adjustiert wird bis keine Veränderungen mehr des Aufbisses auf der Schiene feststellbar sind. In manchen Fällen ist dies bereits nach wenigen Sitzungen und Wochen der Fall, in anderen erst nach vielen Monaten.  Im Schnitt dauert eine Schienenbehandlung ca. 3 bis 4 Monate. Ob die Schienen dabei nur nachts oder auch tagsüber getragen werden müssen, hängt von den individuellen Beschwerden und Befunden ab. Beides kommt vor, die Ganztagesschiene ist allerdings deutlich seltener.

Eine solche Behandlung ist zudem viel wirksamer, wenn Sie mit einer manuellen Therapie (Physiotherapie, Osteopathie, Craniosakrale Therapie) kombiniert wird. Die indirekte Beeinflussung der Strukturen durch die Schiene unterstützt positiv die direkte Manipulation durch den Manualtherapeuten und umgekehrt. Die Anzahl der Termine ist natürlich sehr individuell.

Fazit

Bei Schienenbehandlungen, die nach diesem Konzept durchgeführt werden, ist die Akzeptanz der Aufbissbehelfe sehr hoch. Ca. 90% unserer Schienenpatienten, geben an, dass Sie mit den Schienen sehr gut zurechtkämen, morgens deutlich entspannter aufwachten und Ihre Schiene nicht mehr missen wollten.

Ein sehr großer Vorteil von herausnehmbaren Schienen liegt darin, dass eine sehr wirksame Behandlung von Kieferproblemen möglich ist, ohne dass dazu an den Zähnen etwas verändert werden müsste.  Die Behandlung ist absolut nichtinvasiv und reversibel. Allerdings liegt hierin auch der Nachteil, denn die Behandlung kann nur funktionieren, wenn die Schienen auch zuverlässig getragen werden, und da siegt außerhalb des Einflusses des Zahnarztes. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass Patienten, die zuvor Probleme hatten, ein solche Schien sehr gerne und regelmäßig tragen und sich mit Ihren Schienen sehr wohl fühlen.

Dr. Jan Hajtó