Das Zahnprovisorium bei Zahnersatz – Die Visitenkarte des Zahnarztes
Das Zahnprovisorium, also die provisorische Versorgung von Zähnen bei Zahnersatz, stellt immer eine besondere Aufgabe für den Zahnarzt dar. Viele Patienten haben schon einmal unbequeme Erfahrungen mit Zahnprovisorien gemacht, sei es, weil sie diese zu einem ungünstigen Zeitpunkt oder wiederholt verloren haben, oder weil diese unansehnlich, störend oder vom Biss falsch eingestellt waren. Manchmal sind auch die Zähne mit Provisorien empfindlich auf Kälte oder Süßes, oder das Zahnfleisch entzündet sich. All diese Probleme lassen sich auch bei Provisorien vermeiden, wenn diese mit der korrekten Methode und entsprechenden Sorgfalt hergestellt werden.
Zahnprovisorien haben in erster Linie folgende Aufgaben
- Fehlende Zahnsubstanz zu ersetzen
- Die freigelegte Zahnsubstanz vor chemischen, physikalischen und mechanischen Reizen zu schützen
- Die Stellung der Zähne zu sichern, bis der spätere Zahnersatz eingegliedert wird
- Die die Bisslage (Kieferrelation) sowie die Zahnkontakte (Okklusion) zu stabilisieren
Zu diesem Zweck müssen Zahnprovisoren idealerweise die gleiche Form, Farbe, Oberflächengüte und Passgenauigkeit besitzen, wie der spätere Zahnersatz, nur eben aus einem günstigeren, nicht so haltbaren Material. Außerdem müssen sie so auf den Zähnen befestigt werden können, dass sie zwar wenige Wochen bis manchmal mehrere Monate bei normaler Funktion und Belastung im Mund gut halten (nicht abfallen und nicht brechen), aber bei Bedarf vom Zahnarzt auch wieder einfach abgenommen werden können. Das ist in manchen Fällen wie bei Einzelkronen einfacher zu bewerkstelligen, in anderen Fällen wie beispielsweise bei dünnen Veneers oder weitspännigen Brücken teilweise nur sehr schwer.
Es stehen uns heute glücklicherweise sehr gute Materialien zur Verfügung, um nach einer Zahnbehandlung innerhalb kurzer Zeit hochwertige Provisorien herstellen zu können. Dies sind spezielle Zweikomponenten-Kunststoffe, die in verschiedenen Zahnfarben verfügbar sind und von selbst innerhalb weniger Minuten aushärten. Sie können mit lichthärtendem flüssigen Flow-Komposit sehr einfach ausgebessert und ergänzt werden.
Nach dem Aushärten sind sie stabil, gut polierbar, kaubelastbar, ästhetisch und biologisch sehr gut verträglich. Die Herstellung eines Zahnprovisoriums erfolgt mit einer Negativform, also einer Art Stempel, die entweder zuvor im Mund am Patienten von der vorherigen Situation angefertigt oder im Labor von einem Modell oder einer Wachsvorlage (Wax-up) für die Behandlungssitzung (Präparationssitzung) vorbereitet wurde.
Da die Provisorienherstellung ein mehrstufiges Verfahren darstellt, können sich Fehler die in jeder Phase passieren können aufaddieren:
- Fehler in der Überabformung
(z.B. Verzüge, Abdruckfahnen, Luftblasen) - Fehler beim Einbringen des flüssigen Kunststoffes
(z.B. Blasen, Mischfehler, Positionierungsfehler des Überabdrucks, Löcher und zu dünne Stellen) - Fremdmaterial und Probleme an der Präparation
(z.B. Blut, Speichel, Zahnfleisch unter sich gehende Stellen) - Fehler bei der Entnahme
(z.B. Abreißen, Verformung, Bruch) - Fehler beim Ausarbeiten
(z.B. zu viel Überschuss entfernt, zu wenig Überschüsse entfernt, ungenügend poliert) - Fehler beim Einstellen der Kontakte zu Nachbarzähnen und der Gegenbezahnung
(z.B. zu hoch, zu niedrig, Lücken zum Nachbarzahn) - Fehler beim Einsetzen
(z.B. zu wenig Zement, falscher Zement, zu wenig fest aufgesetzt, Fehlpositionierung, Bruch oder Riss infolge zu starken Drucks) - Fehler bei der Entfernung der Überschüsse provisorischen Zementes
(z.B. verbleibende Zementreste, Abbrechen von dünnen Randbereichen, unwillkürliches Lösen des Provisoriums).
Diese Auflistung soll verdeutlichen, dass die handwerkliche Herstellung von guten Zahnprovisorien keine triviale oder einfache Aufgabe ist. Sie erfordert ein gewisses technisches Verständnis, handwerkliches Geschick, einiges an Erfahrung, da jedes Provisorium völlig anders ist. Darüber hinaus ist die Kenntnis der Materialeigenschaften Zeit und Geduld notwendig.
In den meisten Praxen wird die Herstellung von Zahnprovisorien an das Hilfspersonal delegiert. Das macht vor allem wirtschaftlich absolut Sinn, da Provisorien ja generell wieder entsorgt werden und ist auch völlig in Ordnung, wenn die Assistenten/innen das auch in der erforderlichen Qualität fehlerfrei leisten können. Das ist häufig der Fall, aber leider nicht immer.
Es ist eine interessante Frage, welche Arbeitsschritte ein Zahnarzt delegieren kann oder soll. Das handhabt jeder anders. Aber in seiner Eigenschaft als Experte ist ein Zahnarzt grundsätzlich eher jemand der entscheidende Schritte seiner Arbeit lieber nicht delegieren möchte. Ein Manager delegiert, ein Experte ist das Gegenteil und will es lieber selbst machen, um so die volle Kontrolle über seine Arbeit behalten. Ich habe immer schon nahezu alle meine Provisorien lieber selbst angefertigt, da es für mich eine unerfreuliche Vorstellung bedeutet, dass meine Patienten auch nur für kurze Zeit mit Schmerzen und Missempfindungen herumlaufen müssen, und ich auch so wenig wie möglich ungeplante Patienten mit herausgefallenen Provisorien in den Tagesablauf einschieben möchte, oder gar Abends oder am Wochenende wegen Probleme an Provisorien in die Praxis fahren möchte. Aus diesem Grund werden bei uns Provisorien auch immer mit einem festeren provisorischen Zementen befestigt, was die Abnahme zwar manchmal etwas erschwert, dem Patienten aber ein große Sicherheit in dieser allgemein eher unangenehmen Phase der Zahnbehandlung bietet.
Es besteht aber noch ein weiterer gewichtiger Grund dafür, auf die Anfertigung und Gestaltung von Zahnprovisorien besondere Mühe zu verwenden. Zahnprovisorien haben nämlich auch noch weitere Funktionen im Sinne von Prototypen. Sie werden dann auch als „Behandlungsrestauration“ bezeichnet. Diese Funktionen sind:
- Erprobung des im Einzelfall ästhetischen und phonetischen Optimums
- Ermöglichen der Anpassung der Weichgewebe
- Ausformung von Weichgewebe
- Austestung der Hygienefähigkeit (Interdentalräume, Brückenglieder)
- Abklärung der Langzeitprognose der definitiven Arbeit
- Kommunikationsmittel (ZA – Patient – Techniker)
Gerade bei Frontzahnarbeiten, die wir in unserer Praxis aufgrund der Spezialisierung in Ästhetischer Zahnheilkunde zu einem sehr großen Teil anfertigen, ist das schrittweise Erarbeiten einer neuen, schönen Zahnreihe, die auch den Vorstellungen der Patienten entspricht, nicht ohne solche hochwertige Provisorien möglich (Abb.1).
Abb. 1: im Patientenmund direkt mit einer Überabformung hergestellte Provisorien
An solchen Kunststoffkronen können alle Arten von Veränderungen vorgenommen werden, z.B. durch Antragen von lichthärtendem Kunststoff, Unterfüttern, Bemalen und Beschleifen. Sofern erforderlich, werden solche Behandlungsrestaurationen auch erneut hergestellt. Diese stellen, sobald sie in Aussehen und Funktion dem gewünschten Ergebnis entsprechen, die Vorlage für den Zahntechniker zur Herstellung der definitiven Kronen, Veneers oder Brücken dar.
Bei sehr anspruchsvollen Fällen werden daher solche Prototypen auch nicht nur am Patienten direkt hergestellt, sondern als laborgefertigte Provisorien vom Zahntechniker geliefert (Abb.2).